Werdenberger & Obertoggenburger - 4. Februar 2011

Staunen ob der Grösse des Weltalls

Das Lebenswerk des Werner Anderegg aus Nesslau (1920–2009) besteht im Berechnen und Bau von 38 astronomischen Uhren. Ein Buch zeigt und erläutert diese Meisterwerke eines mitunter grüblerischen Genies.

Von Gian Ehrenzeller


Nesslau. – In seinen Aufzeichnungen
hielt Werner Anderegg fest: «Eine astronomische
Uhr setzt Zeitläufe zueinander
in Beziehung, die uns bescheiden
und nachdenklich werden
lassen.» Denn eine solche Uhr, deren
Bau sich der Toggenburger verschrieben
hatte, zeigt neben der Uhrzeit
auch noch Astronomisches an: Die
Mondphasen, Stellungen der grossen
Planeten oder die Lage von Sonne und
Mond. Die ersten Uhren der Menschheit
waren ebensolche astronomischen;
etwa das grosse Planetarium
von Giovanni Dondi, 1364 in Padua
gebaut, oder der Zytglogge in Bern.
Das Buch «Astronomische Uhren»
zeigt die Werke Werner Andereggs im
Bild. Detailliert beschreibt er deren
Funktions- und Konstruktionsweise.
Hier erfährt der Laie, mit welcher
Hingabe sich Werner Anderegg diesen
Uhren widmete, welche Detailversessenheit
ihm innewohnte und was für
Kunstwerke er dabei schuf.
Ein Werk ohne Störungen
Werner Anderegg wurde 1920 in
Nesslau in eine Uhrmacherfamilie
geboren. Es erstaunt daher nicht, dass
auch er diesen Beruf ergriff. Den Zug
in die Uhrmacherschule konnte er
sich nicht leisten, stattdessen fuhr er
mit dem Velo nach Solothurn und kam
am Wochenende auf demselben Wege
wieder nach Hause.
Auf einem Ausflug auf die Mörsburg
entdeckte Werner Anderegg eine Uhr
mit fünf Zeigern; eine astronomische
Uhr. Er wusste – bis zur Lehrabschlussprüfung
wollte er selbst eine
solche gebaut haben. Er bestand die
Prüfung mit der Gesamtnote «Eins».
Bald darauf hatte Werner Anderegg
Aktivdienst bei den Funkern zu leisten.
In den Nächten, in denen er vor
dem Morsegerät auf neue Mitteilungen
warten musste, fand er genügend
Zeit, den Sternenhimmel zu betrachten.
Er schreibt: «Dieses Himmelswerk
läuft ohne Störung, ohne dass es
immer wieder aufgezogen oder geölt
werden muss, ohne sich abzunutzen
lautlos seit Jahrmillionen, und es wird
weitere Jahrmillionen laufen, wenn
nicht der Mensch von heute oder
morgen durch Entfesselung der Atomenergie
unsere Erde oder doch das
Leben auf ihr zerstört. Wollte sich
doch der Mensch damit begnügen, in
ehrfürchtigem Staunen ob der Grösse
und der Ordnung des Weltalls die Geschehnisse
am Himmel zu beobachten
und seiner eigenen Kleinheit inne
zu werden.»
Werner Anderegg bestand die Eidgenössiche
Meisterprüfung mit der astronomischen
Uhr 1947. Bald darauf
wurde er zum Meister- und Lehrlingsexperten
gewählt. Elf Lehrlinge durfte
er in Nesslau ausbilden. Sein zentrales
Werk sollte er allerdings erst Jahre
später bauen. Die astronomische
Uhrenanlage (siehe unten rechts)
lockte scharenweise Touristen aus vielen
Ländern Europas und Amerikas
vor und in das Geschäft, das Werner
Anderegg mittlerweile vom Vater
übernommen hatte. Über 2000 Cars
machten vor dieser Sehenswürdigkeit
Halt. Bis 2008 zierte diese Uhr die
Front des Geschäfts in Nesslau, heute
ist sie im Internationalen Uhrenmuseum
in La Chaux-de-Fonds zu sehen.
Der Bau astronomischer Uhren war
Werner Andereggs Leidenschaft. Und
doch galt zumindest der Sonntag seiner
Familie.Wann immer möglich unternahm
er Skitouren oder Wanderungen
in den Alpstein, die Churfirsten,
auf den Stockberg oder den Neuenalpspitz.
Seine Begeisterung und
Liebe für die Natur zeigt sich auch in
einigen seiner Uhren. Er wollte nicht
nur das im Handwerk geforderte erfüllen,
sondern kreativ sein, mit seinen
Uhren auf menschliche Bedürfnisse
eingehen. So zeigt die Pilzuhr
(siehe unten) beispielsweise neben
der Uhrzeit und den Mondphasen
auch an, wann die Zeit bestimmter
Pilze gekommen ist. Im Jahr nach dem
Bau dieser Uhr, nämlich 1993, erhielt
Werner Anderegg den Anerkennungspreis
der St.Gallischen Kulturstiftung.
Ein Preis, der ihn vergessen liess, dass
er sich mitunter alleine gelassen und
zu wenig beachtet fühlte mit seiner
Kunst.
Die Winzigkeit des Menschen
Im selben Jahr erblindete Werner Anderegg
erst auf einem, später auf dem
anderen Auge. 2003 baute er seine
letzte Uhr, trat später ins Pflegeheim
Churfirsten ein, wo schon seine geliebte
Trudi lebte. Zur grossen Freude
des begeisterten Uhrmachers konnte
im September 2009 sein Buch «Astronomische
Uhren» vorgestellt werden.
Werner Anderegg schrieb im
Schlusswort seiner Dokumentation,
welche diesem Buch zugrunde liegt:
«Oft brauchen wir vieles zu unserer
Zufriedenheit. Betrachten wir doch
hie und da unseren Sternenhimmel
und staunen ob der Grösse unseres
Weltalls und Winzigkeit von uns Menschen,
die wir die Grössten sein wollen.
»
Werner Anderegg verstarb am 20.
Oktober 2009. Mit ihm ging einer der
letzten Meister für die Berechnung
und den Bau von astronomischen
Uhren. Bald darauf ist ihm seine Frau
Trudi gefolgt.