Tagblatt - 24. Oktober 2009

Schüler der Himmelsmechanik

NESSLAU. Manchmal findet alles fast gleichzeitig statt: Im September wurde ein Buch zu den Astronomischen Uhren Werner Andereggs vorgestellt; einen Monat später ist er gestorben. Und heute, am Tag, an dem die Uhren auf Winterzeit umgestellt werden, findet in Nesslau der Abschiedsgottesdienst statt. Dies alles geschieht zudem im Jahr der Astronomie, das noch bis Ende Jahr einladen will, den Blick zu den Sternen zu richten.

 

Meister Hora

Der Uhrmacher Werner Anderegg hatte seit je seine Augen bei den Sternen. Als Spross einer Uhrmacherfamilie war ihm klar, dass die Zeit nicht einfach aus den Rädchen besteht, die er auf der Werkbank anfertigt und zum Uhrwerk zusammenstellt. Vielmehr sind die Gestirne das Mass der Zeit. Massgebend, zeitgebend ist die «Himmelsmechanik». Die aus Rädchen zusammengesetzte Uhr ist lediglich der Versuch, etwas von der Präzision des Sternenlaufs abzubilden und auf ein Zifferblatt zu bringen.

Doch so gut dem Uhrmacher das auch gelingt, am Schluss überwiegt sein Staunen über das «Getriebe» des Planetensystems. Wie Werner Anderegg einmal sagte: «Dieses Himmelswerk läuft ohne Störung, ohne dass es immer wieder aufgezogen oder geölt werden muss, ohne sich abzunutzen lautlos seit Jahrmillionen…» Wie das Mädchen Momo begegnet auch der Uhrmacher dem Meister Hora, dem Herrn der Zeit.

Astronomische Uhren

1937 hatte der Nesslauer Uhrmacher seine Lehre begonnen, so wie schon Vater, Gross- und Urgrossvater als Uhrmacher tätig werden. Bereits zum Lehrabschluss, 1941, baute er seine erste astronomische Uhr, die mit ihren fünf Zeigern den Lauf der Gestirne anzeigt. Diese Verbindung von Himmelsmechanik und abgebildeter Zeit beschäftigte ihn ein Leben lang. Erst wiesen verschiedene Uhrzeiger auf das kosmische Geschehen, später rückte die Sternkarte selber auf das Zifferblatt.

Toggenburger Tradition

Mehr als drei Dutzend solcher aufwendiger Uhren sind entstanden, manche verschenkte er an Schulen, um auch in Kindern das Gefühl für das Wunder der Zeit zu wecken.

Ein besonderer Blickfang zierte auch die Fassade seines Uhrengeschäfts an der Hauptstrasse in Nesslau, eine astronomische Uhrenanlage, auf deren Zifferblättern das Geschehen am Sternenhimmel, Sonne-, Mond-, und Planetenbahnen abzulesen sind. Diese Uhr wurde zu einem unerwartet grossen Werbeträger. Weit über zweitausend Cars haben im Lauf der Jahre vor dieser Sehenswürdigkeit Halt gemacht und manche Passagiere ins Geschäft gebracht. Seit einem Jahr befindet sich das Werk im Uhrenmuseum von La Chaux-de-Fonds.

Das eben erschienene Buch dokumentiert die grossen Uhren, die Werner Anderegg fertiggestellt hat. Es zeigt auch, wie er jene Toggenburger Tradition weiterführte, die Jost Bürgi begründet hatte, der Lichtensteiger, der schon im 16. Jahrhundert für den Landgraf von Hessen astronomische Uhren gebaut hatte.

Samt Alpaufzug

Manche von Andereggs Uhren aber bilden nicht nur himmlische Sphären, sondern auch die Lebenssituationen der Menschen ab, für die sie bestimmt sind. So gibt es die Toggenburger Uhr, auf der sich zu jeder Stunde ein Alpaufzug in Bewegung setzt, die Jägeruhr, auf der sich Rehe und Hirsche drehen; die Pilzuhr, deren Steinpilzhut die Mondphasen anzeigt. Die astronomische Uhr konfrontiert die Winzigkeit des Menschen mit der Grösse des Weltalls. Nicht um den Menschen zu erniedrigen, sondern ihn das Staunen zu lehren. Genau so hat zweihundert Jahre früher Ulrich Bräcker, der «arme Mann im Toggenburg» empfunden, als er zu den Gestirnen aufschaute: «Ich hätte Himmel und Erde umarmen mögen.»

Werner Anderegg, Astronomische Uhren, Toggenburger Verlag www.astronomischeuhren.ch